23 Haziran 2009 Salı

DIE GEDICHTE MEHMET YASHIN (1979-2004)

EIN GEIST

(...) Weil sie geschrieben hatten: “Der Krieg soll aufhören gegen die Städte der Hellenen”,
wurden die meisten Schreiber der phönizianischen Grabschriften von ihren eigenen Kriegern getötet –
Und die, die am Leben blieben, leben wie Tote wegen des drohenden Mordes (...)
Von einem Grabstein in Idalion, 8. Jh. v.C.


Nur als Geist kann ich zurück in mein eigenes Haus.
Ich trete heraus aus neblig trüben Spiegeln. Viel Zeit habe ich nicht.
Ich öffne die Fenster, in der Finsternis strömen Sternlichter
in das Innere meines Hauses. Gardinen werden ausgeklopft und
Bettücher, die das Bücherregal zudecken. Ich muss den Staub
von den Familienfotos wischen; die Scheiben mit meinem Atem anfeuchten.
Die Racheengel dieses Hauses mit seinen vielen Sprachen,
nun zum Schweigen verdammt,
ringen jedem den Schwur ab zu schreiben, jedem der es betritt.
(All diesen Kriegen. Allem, was national ist. Sogar der Sprache.)
Wie verzauberte Wörter soll nieder regnen der Ameisenstaub Naphthalin.
Ich putze den Boden. Dann schließe ich die Türen ab
und verschwinde wieder, ohne dass mich jemand erblickt.
Ein Geist... Ich kann nicht getötet werden.

Nicosia-London 1997


SCHWALBE

Manchmal spüre ich dass ich im Schlaf weine
den Grund kenne ich nicht
oder ich vergesse ihn bis ich wach werde.
Immer wenn ich versuche, meine Augen zu öffnen, explodieren
Zeitungsblitze. Wenn ich endlich aufwachen könnte von diesem Gedicht
aber hier, wo ich abgestürzt bin, schreie ich wie ein Stummer
zu einem Gedicht hinüber
z u e i n e m G e d i c h t h i n ü b e r . . .
Und machmal liebe ich jemanden ohne Gesicht
oder vielleicht bleibt mir nicht im Gedächtnis wer es auch immer ist, mit dem ich mich liebe.
In meine Kindheit kehren manche Träume zurück
dann ist der Krieg nicht ausgebrochen, Mutter und Vater nicht tot
und alle die ich kenne nicht aus dem Leben geschieden ...
Das ist alles so fern, und auch wenn ich’s versuchte, könnt’ ich mich nicht erinnern
und dann fliege ich irgendwohin im Schlaf
i c h f l i e g e i c h f l i e g e ich fliege.
Und kann nicht herausfinden wo ich bin
in welcher Stadt, welchem Zimmer, welchem Bett
wohin soll ich mein Gesicht wenden
und in wessen Sprache auf die Fragen antworten
in meinem Traum. Und dann bringe ich die Vögel durcheinander, die da fliegen:
war das eine Turteltaube, nein Lerche, oder vielleicht eine Schwalbe
ja, ich glaube, eine Schwalbe
nicht wahr, in Lefke, auf der Veranda unseres Hauses ...
[habe ich u n s e r H a u s gesagt?]
Manchmal spüre ich, dass ich im Schlaf weine.

S c h w a l b e : sehr alt, ich kann mich an Ort und Datum nicht erinnern.



DAS TOTE HAUS

Die weiße Leere, die von der Wanduhr übrigblieb

Der Tisch aus Nußbaumholz, der die Zeit vergaß

Fingerabdrücke, die mit Staub weggewischt werden

Verschollene Schlüssel

Der Postkasten mit dem verrosteten Schloß

Und der schwere Schlaf der alten Frau, die ihre Stiftzähne
ins Wasser legt

Und diese Schreibmaschine, die die ersten Gedichte meines Vaters schrieb, dieses Haus, in dem meine Mutter der Liebe verfiel und starb – in jedem Krieg Gefangen genommen, beschossen, verbrannt, die Mitgift in der osmanischen Truhe geplündert – und Spiegel, die alle Frauen einer Familie splitternackt gesehen haben, Spiegel, Spiegel, die Spiegel, die ihr Gesicht mit Bettüchern verdecken – und all die Blumen, die vertrocknet und vergangen sind außer dem wilden rosaroten Duft der Kletterrosen – die Zeit, die meine Großmutter in weißen Spitzentüchern aufbewahrte – dieses kleine Gespenst, das an den Ort zurück kehrt, wo es getötet wurde – die langen stillen Schatten der abgeholzten Zypressen – und jetzt beobachten alle Bewohner dieses Hauses die Mitternacht aus Fotografien, in denen das verrückte Gelächter des Krieges widerhallt – ein Mann mit einem Fes auf dem Kopf sieht durch die Scheibe, warum er lächelt, hat er selbst schon vergessen – und das Haus fragt sich, warum sie alles töteten, was mir gehörte doch mich am leben ließen – und im Kinderzimmer, in dem dieses Gedicht gesprochen wird, gehen plötzlich die Lichter an

Totes Haus Totes Haus Totes Haus

Nichts als Poesie kann es gewesen sein
was mich zurück führte in dieses Haus.
Neapolis/Nicosia 1988



YORGOS, DAS IST EINE TOTALE UNVERSCHÄMTHEIT

für Yorgos

....................................................................................................................................................... ich hatte deine Stimme geliebt, die von der anderen Seite der Mauer kam - und wenn du die Wahrheit hören willst, auch von der Mauer habe ich jetzt genug. -

Ich war ein Wunsch nach Rückkehr wo ich auch hin ging, obwohl ich wusste, es gab keinen Ort, wo man zurück könnte ... Nach unzähligen Verbannungen suchte ich meine Fußspuren auf schäumenden Wellen.

Ich trage einen Anorak aus pechschwarzem Leder, Bluejeans, Adidasschuhe und sonst habe ich absolut keine Gewissheit, meine Tasche an meiner Schulter, meine Schulter an der Scheibe des Decks ................

Das ist ein Land, das Neugeborene den Toten opfert.

Während die Wege zwischen uns voller Minen waren, war mein einziger Wunsch zu dir zu kommen zu völlig unpassender Stunde. Wer würde es denn glauben, wenn wir sagten, das alles, um gemeinsam essen zu können, um beieinander einschlafen zu können. Doch wir glaubten an manche Dinge: zum Beispiel an Aphrodite - und wenn du die Wahrheit hören willst, auch von Aphrodite habe ich jetzt genug. -

Das ist eine Insel hier, wir waren umringt von salzigen Wassern und wie ein Fischerboot, das die Wellen umgeworfen haben, Meeresmuscheln auf unserem Rücken, gelbe Sandkörner. Doch mein einziger Wunsch war, sanft einzuschlafen .............................................. ................................................................................................................................................

Sie waren zwei Feuersteine in der Ägäis, zwei nackte Körper, die sich aneinander reiben.

.......................... und wir, zwischen zwei Ländern zwei Worten wanderten wir hin und her zwischen Leben und Tod und sogar unser gemeinsames Biertrinken war illegal.

Ich fahre Motorrad, ich trage einen Anorak aus pechschwarzem Leder, zerrissene Bluejeans, Adidasschuhe... Seit vielen Nächten habe ich nicht geschlafen und am Tag wandere ich die eng eng engen Gassen entlang wie ein Alptraum.

“Eine besetzte Insel ist die Freundschaft!”
(Sag mir keine Gedichte mehr auf!)

Ich möchte ohne jeden Grund leben können hier wo ich geboren wurde, in dieser Stadt, die jetzt weder deine geblieben ist noch meine, während die Enkelkinder der Sprachlosigkeit Schreie Schreie Schreie ausstoßend aufwachsen in verlassenen Häusern, zerbrochene Spiegel, Dornengestrüpp und von Mauern, deren Einschusslöcher nicht zuwachsen wollen fliegen Schwalben auf. .............................................................................. ................................................................................................................................................

Ich hatte dein Aufwachen geliebt und wie du heimlich vom Essen geklaut hast, das noch auf dem Herd kochte und wie du deine Haare gekämmt hast habe ich geliebt.

Aber wer glaubt denn uns beiden, alles was ich in diesem Brief niederschreibe wird für eine verschlüsselte Botschaft gehalten und meine Anrufe nach lieblos Erlebtem, um nur deine Stimme zu hören, wird für Spionage gehalten und aufgezeichnet.

Yorgos, das ist eine totale Unverschämtheit!

Hör zu, Yorgos, dieses Märchen Zypern ist eine total gemeine Unverschämtheit - und wenn du die Wahrheit hören willst, auch vom Märchen habe ich jetzt genug. -

Ich möchte ohne jeden Grund schlafen können in meinem eigenen Haus ...................
................................................................................................................................................

Akropolis/Nicosia-Athen, 1988 (London, 1990)



KRIEGSZEITEN

Ich sprach nur mit mir selbst, heimlich, ohne Stimme,
damit niemand mich hören konnte
ein Zeichen der Weisheit sah man in meinem Schweigen!
Verbergen musste man das Türkische, denn es war gefährlich
und das Hellenische absolut verboten –
sie lauerten wie Maschinengewehre
die Erwachsenen, um mich zu schonen
freiwillige Soldaten waren damals alle.
Und da lag noch Englisch herum
wie ein scharfer Seitenöffner von Schulbüchern,
als eine Sprache für eventuelle Notfälle
besonders wenn man mit den Hellenen sprechen musste.
Oft wusste ich nicht einmal, in welcher Sprache ich weinen sollte
es war nicht ein fremdes, es war ein übersetztes Leben, das ich lebte
meine Muttersprache war eine andere, mein Mutterland ein anderes
und ich, wieder völlig anders –
Schon in jenen Tagen der Verdunkelung zeigte sich
dass ich keines Landes Dichters sein könnte
denn ich war Minderheit und die „Freiheit“
sprenge die Wörterbücher aller Nationen ...
Schließlich vermischten sich alle drei Sprachen miteinander in meinem Gedicht
was in mir sprach, konnten weder Türken hören
noch die Hellenen noch die anderen –
Aber niemandem werfe ich etwas vor, es waren Kriegszeiten.

Das Dorf Arodes, 1991


GOLDKUGEL

Plötzlich platzen die Goldkugeln
plötzlich Lieder, plötzlich Licht
die Gassen werden zum Kind.

Unter goldbestickten Umhängen der Feen
ein Garten der Versteckspiele...
Der Baum der die Kinderhaare mit Sternenkronen schmückt
und seinen kühlen Schatten tief in sich verbirgt
lacht auf und sprießt uns aus allen Poren.

Plötzlich platzen die Goldkugeln
plötzlich Flieger plötzlich Schrei
die Gassen werden zum Kind
Plötzlich!

Nicosia-Ankara, 1979 (1983)


WEIHNACHTSMANN

Heeey der Weihnachtsmann!
(Guck mal, Weihnachtsmänner als Soldaten verkleidet)
- Kommt raus, ihr seid alle gefangen genommen!

(Guck mal, auch der Sohn des Pastors ist unter ihnen)
- Petros, lass diese Waffe
sonst passiert dir noch ein Unfall!

(Meine Oma schrie Petros an
Die Weihnachtsmänner schrien meine Oma an
Meine Oma zerrte an Petros
Die Weihnachtsmänner zerrten an meiner Oma
Meine Oma ohrfeigte Petros
Die Weihnachtsmänner ohrfeigten meine Oma.)

&

DER BRAND

E s b r e n n t Yenisehir b r e n n t
bevor ich das Lesen gelernt habe
mit meinem farbigen Bilderbuch, mein Buch b r e n n t

Nicosia-Ankara, 1979 (1983)



PIERO ICH MÖCHTE DASS DU MICH TÖTEST

Piero ich möchte dass du mich tötest
bis nach Venedig kann ich mich nicht tragen
ich suche ganz dringend nach einem Weg mich zu töten
Piero mein Motorrad habe ich an dir geparkt
um diese Zeit kümmert sich niemand um Verkehrsregeln mein Gebieter
Piero in Athen habe ich mit diesem Lied angefangen
du die Jenseits-Welt der Ikonen mit silberner Haut
ich das Feuer der Opfergaben das auf Öl brennt
du Gebieter von allem was ich in mir trage lösch mich aus
Piero mein kleiner Todesengel
der im splitternackten Stein endlos den Bogen gegen mich spannt
Piero diese Welt ist übersät mit Grausamkeiten
bitte bring mich in den Himmel
Piero ich kann mich dem Leben nicht ergeben
ich kann weder schweigen noch ihm entfliehen ...
Wahrscheinlich kann ich einfach nicht leben
Piero vielleicht sollte ich heute abend in dich begraben werden
Piero mein kleiner Todesengel
Piero ich möchte dass du mich tötest
Piero lass uns gehen.

Athen, 1988



MEIN LEBEN STEHT DA JENSEITS DER GRENZE

Mein Leben steht da jenseits der Grenze
vor dem Zentralen Rundfunk Euston
an einer Haltestelle die sich füllt und leert und wieder füllt
fahren Busse vorbei
nur nicht der eine auf den ich warte.

Ich an einem Ende der Welt
und die Welt an dem anderen
ich denke an dich
auf dem Gehsteig wo ich zu Boden sinke
und rauche mit leerem Magen.

Wenn du jetzt kommen, mich hochziehen würdest
zu dem Licht werden in meinem Haus
zu der Tür die aufgeht wenn ich daran klopfe
wenn du für mich
zu einem Ort werden würdest wo ich hin kann.

Rote Lichter werden auf mich geworfen. Wer 3 £ bezahlt darf in mich hinein, die neuesten Gedichte hier auf diesen Bühnen, emigrierte Tagesanbrüche verbannte Sonnenuntergänge, aufregende Reisenreisenreisen Liebesgeschichten in Autos die gegeneinander prallen, Aphrodite Othello Hermes-Weine, zwei Bücher und reichlich zu knabbern für 7 £, verpasst ihn nicht "unseren geliebten Dichter", insgesamt nur für 10 £ und ganz und gar einsam.

Wie einen Zeichentrickfilmhelden
verfolge ich mich über Zeitungen
um heraus zu finden
was ich an diesem Tag gemacht habe
was ich an diesem Tag gesagt.

London, 1987


„Begrabt mich nicht an einem menschenleeren Ort ...“
- Die letzten Worte meiner Mutter


DER TOD ERZÄHLT VOM LEBEN

Sie wünschte dass wir ihren Platz reservieren auf dem Friedhof:
„Im Rosengarten, nicht fern von der Straße, mit viel Sonne...“
Was sie sagte sprach gegen ihre Worte
sie meinte das Leben während sie vom Tod erzählte.

Istanbul, 1984
DAS ZAUBERLIEBESLIED

Infusien Spritze Sauerstoff
weder die eine noch der andere

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben

Allen die dir ähneln und denen du ähnelst
so unverfälscht und so tief

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben


Die Blumen mit Küssen
die Eier mit Milch

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben


Ich bin die Glocke der trotzigen Ziege dong
hüpfend werde ich hoch zu dir klettern

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben

Bis der Tod die Ohren zuhält bis er durchdreht
werde ich mein Zauberlied wiederholen

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben


Die giftige Träne die in meinem Ineeren gärt
wird die Natter töten die nachts herumschleicht

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben

Der Priester und der Arzt
sollen nur sagen es werde nichts nützen

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben

Sollen die Einfältigen nicht an das Märchen glauben
ich werde das Kraut der Unsterblichkeit finden

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben

Ich habe das fleckenlos weiße Hemd angezogen das du gewaschen hast
und den farbenfrohen Pullover den du gestrickt

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben


Ich werde die Frucht sein die vor deine Füße fällt
der Granatapfel der sich entzweit die saftige Feige

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben



Meine Wellen die weinend heranstürmen
werden zu tausend Brillanten an deinen Felsen

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben


Du bist Flügel für die Drachen
du bist die Tränen der Fische

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben

Du bist die Scheibe Brot mit Stroh
die du im Flüchtlingslager für mich aufgehoben hast

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben

Deine Lungen schwarze Schultafeln
auf die Entbehrung und Krieg mit Blut geschrieben wurden

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben


Ich werde wüten gegen diesen Palast der Tyrannei
ja ich werde dich rächen

Er wird einstürzen der Verdammte
du wirst nicht sterben

Ich werde auf Kräuter pusten die stark duften
auf rot auf grün

Ich liebe dich
du wirst nicht sterben

Und wenn alles nicht hilft werde ich aus voller Kehle schreien
du bist Mutter du hast kein Recht dazu

Es ist unmöglich jetzt
du wirst nicht sterben

Nicosia-Istanbul, 1983



TANTEZUNGE

i. Haus-Leben Tante-Zunge

Schade! Erst als sie starb, merkte man, dass sie gelebt hatte
als das Haus-Leben aufhörte zu pochen im selben Augenblick mit dem Herzen
der alten Frau

- doch keiner von uns konnte zugeben, wie verloren wir waren -

Werter Leser! Jedes Gedicht ein Geständnis.


ii. Tantezunge, ihr Name auf dem Stein eingraviert

Die verwitwete Frau Lehrerin zu Zeiten der Engländer
zu Hause war sie Süreyya und Judith auf der Straße
und unter Freunden Lamia mit dem seidenweichen Haar.
Später wechselten die Zeiten
sogar die hellenischen Nachbarn wechselten sich mit anderen ab
weder blieb das prächtige Haus in Sarayönü
noch das Gartenhaus in Neapolis
- wieder Krieg wieder Krieg wieder Krieg -
nicht ein Stein auf dem anderen hätte es überlebt...
Und dann kamen die Türken
zu Hause war sie Judith und Süreyya auf der Straße.


iii. Tantezunge unter Nelken

Es war ihre Aufgabe, alle Männer der Familie an der Hand zu nehmen
- totgeborene Neffen, meinen Großvater, meinen Vater, mich -
Vicks auf ihre Schultern zu reiben, Unterhemden zu stricken.
Frühlingsvorbereitungen waren ihre Aufgabe
das tropfende Dach, der Baum, der ausgeholzt werden musste
und das unaufhörliche Putzen der Märchenhütten.
Die Ruinen unserer Erinnerung waren ihre Aufgabe, die Mitgift-Raten des
Hauses
und die Lehrer-Unterkünfte und die Flüchtlings-Baracken und
so verflog ihr geliebtes Leben, von einem Krieg in den nächsten getragen.
Die Schlaflosigkeit unserer Wache an den Stellungen war ihre Aufgabe
Gebete, die den Toten galten waren ihre Aufgabe
den Koran auf Arabisch zu verlesen, den Olivenzauber auf Latein
und mein Türkisch mit rot zu verbessern
und auch, den Platz der Nelke zu bestimmen...


iv. Tantezunge und ihr Drachenmärchen

Doch der Drache, der hat Flügel
jeden Augenblick kann er wegfliegen.
Zwei Katzen wachen an seinem Tor – gate heißt deswegen gatte –
Der Mensch ist Gast in seinem eigenen Hause, es war einmal
und dann ist es keinmal, die zwei Gesichter des Drachen [J a a a a ? ...]
blicken vom Minarett des Lusignan in den Himmel.
Unter dem Grabmal des Heiligen Ahirvan
dreht sich und dreht sich und dreht sich eine Fee im Tanz
und tatsächlich, jeden Augenblick kann sie wegfliegen.
Lügenzunge, Schlangenzunge, Doppelzunge aus Feuer [H a a a a ! ]
Alle glauben sie sei tot, doch sie bewacht einen Schatz
unterirdisch unter Erden – doch weil eben alles seine Flügel hat
kann alles jeden Augenblick wegfliegen. [A a a a a h ?!]
Sie steigt in den siebten Himmel, eine Frage steigt herab,
wie haben sie die Verstorbene in Erinnerung?
- Guut guut guuut -
Doch niemand weiß es, die zierliche Greisin ist Schlange
immer wenn sie will
Vogel Salamander Glühwürmchen [Pf u u u u i ...]
Oder seid ihr etwa Engel? – Nee nee nee –
In Wirklichkeit ist sie die Königin des Landes
Im no hat sie sich entschieden für alle Ewigkeit
– es ist wieder Krieg – der König sperrt sie ins Schloss ein
doch jeden Augenblick kann sie wegfliegen.


v. Tantezunge mit Gebetswasser

Zur Abendstunde schwebt eine kleine Vogelfeder
über den jasminduftenden Nebeln
sie fliegt, sie fliegt fort die kleine Tante noch erst 85.
Zwischen Räuchern in denen Rosenwasser der Gebete brennt
zwischen Sternlichtern und Pflaumenzweigen.
Rein wie jedes Kind
wer weiß wo sie diese lichte, sonnenglitzernde Kraft geschöpft hat
- und dabei hat sie Ahnung über diese Welt -
wie eine Sternschuppenlüge eine Sternenschlange... Sie fliegt
sie fliegt fort die kleine Tante
rosafarben-Dornenzunge-Wildrose
stur wie eine Ziege und dann auf einmal
lachend wie ein Schrei
und schutzlos.


vi. Gottvater Tantezunge

Jetzt wünsche ich mir, dass es Allah gibt
- und der Gottvater möge bitte gutherzig sein -
und die kleine Tante beschützt, wo sie auch hingegangen sei.
Denn sie ist sehr alt und sehr Kind
am besten, sie wird zurückgeschickt in den Garten unseres Hauses
verkleidet als eine Katze mit grünem Blick.

Wo geht ein Lied hin wenn das Radio aussetzt
auch wenn wir es nicht mehr hören – ich möchte es wissen
wo geht eine Seele hin wenn ihr Körper stirbt?
In Wirklichkeit sitzt vielleicht auf den Stadtmauern von Nicosia
der Drache mit seinen drei Köpfen warme Luft ausspuckend
- aber wo versteckt er seinen Schwanz, der immer am Leben bleibt? -

Mein Allah, so viele Märchen, dessen endgültiges Ende ich nicht kenne
und das Leben erstickt mir den Atem in meiner Brust.


vii. Jede Zunge erzählt über ihren eigenen Tod, Tantezunge

Wer wird jetzt schützend seine Flügel über dich ausbreiten, Zunge

Auch wenn du sie nie sehen konntest, hast du gewusst, es ist jemand da, Zunge

Wer hört sich jetzt deine ewige Klage an die sich schneller verzweigt als die
Mandelbäume

Und führt den Alltag fort als wärst du noch im Hause, Zunge

- Als hätten wir immer noch ein Haus -

Wer wartet auf deine Rückkehr, wissend, dass du nie mehr zurück kehren
wirst, Zunge

Ob du vielleicht frierst, ob du nun dort etwas zu essen hast

Welches Herz leidet so still liebend für dich, Zunge

Wer liest alles was du schreibst, wer hört dir zu seine Seele ganz Ohr

Sein Blick befreit vom Nebel der greisen Jahre, Zunge

Und wer fühlt, was du eigentlich sagst, wenn du deine Worte sprichst.


viii. Tantezunge versteckt im Tod

Das Fach ihres Eisbettes, in dem sie auf uns wartete, wurde geöffnet
ich hob das weiße Tuch, ich berührte ihr Haar
und zum ersten Mal spürte ich in diesem Augenblick, dass wir eine Familie
hatten
in diesem Leichenhaus, als ich die kleine Tante zum letzten Mal küsste
zwischen den Leichen von Soldaten, deren Selbstmord verschwiegen wird.


ix. Lob auf das Grab Tantezunge

An der Wand unsere Fotografien von Massenmorden
ich weiß nicht wie ich noch leben könnte ohne diese Gräber
- meine Mutter, meine Großmutter, die Geschwister und die kleine Tante ...-
Alle beisammen auf diesem Friedhof
alle nebeneinander wie am Tisch zur Tischzeit
liebender fühle ich mich hier, besser.
Meine Familie sind gute Tote, fein, bescheiden
sie verlangten keine prunkvollen Zeremonien von mir
und keine ausgeschmückten Grabsteine –
Ihr einziges Vermächtnis war, dass ich sie in mir trage
und so wurde meine Seele meine Zunge zu einem Friedhof

aus Liebe.

Nicosia-Istanbul, 1995


BRIEF OHNE MARKE

Zerschlagen haben sie, splitterfein zerstückelt, jetzt sammle ich meine Scherben auf. Ich sammle mich selbst vom Tod zurück.

In mir lauert eine große Stimme, wie soll ich’s sagen: In unserer Stadt konnten die Stimmen die Patronen eines Magazins nicht überwinden. „In den Bunker“ wiesen alle Wege, in diese finsteren unterirdischen Gänge, die nicht einmal zur Hölle führten. Sirenen, Kugeln, Schreie ... (Wie spricht man ein Wort aus, Mutter?)

Wird sich meine Zunge wieder lösen nach diesem blutigsten Massaker? Wird sich die Schrift in meinem Levh-i Mahfuz offenbaren, dem allumfassenden Buch meines Schicksals? Wird mir der große Ausruf gelingen, der alles enthält, was ich in mir trage? (Bring mich neu zur Welt, als ein Gedicht, Mutter.)

&

Zerschlagen haben sie, splitterfein zerstückelt, jetzt sammle ich meine Scherben auf. Meine Worte reibe ich auf meine Wunden - ohne auch nur einen Laut von mir zu geben, ganz für mich im Stillen, nehme ich mich an der Hand und führe mich zum Gedicht.

Und sie, die das Kind in uns niemals sehen konnten, was soll man im Namen dieses Kindes noch sagen? Das Wort hat sich nicht verbraucht, es hat sich nur geschämt, ausgesprochen zu werden. (Und du, die du so schön bist wie ein Gedicht, gib mir die Kraft der Schönheit, Mutter. Damit mein Schrei, der lautlos wächst in meinem kleinen Fluß, sich ergießen kann aus deinen Sprudellebensquellen...)

Ihr Mörder der Menschenliebe
schießt lasst die Sirenen heulen übertönt die Stimme des Liebens!
bindet dem fortlebenden Wort die Hände zusammen stellt es an die Mauer schießt es nieder verbrennt es mit glühendem Eisen ...
Wie ausgestoßene Fohlen, deren Mähnen durch die Winde segeln werden meine Verse brennend vom Bogen fliegen, sich in funkensprühende Pfeile verwandeln. Ja
ich bin der Selbstmord! Seht ich schreie es euch ins Gesicht
ja ich bin der Pfiff der Schlange auf den Wiesen die die Soldatenstiefeln zertraten.
Ich werde nicht schweigen.
Jeder meiner Verse wird zu einer Klapperschlange die in die Sonne hinaustritt meine Zunge euch nur Gift und Galle. Ich werde beißen
eure Füße die in den Krieg rennen. Mörder! Meine Mutter habt ihr getötet ihr habt sie in das Gefangenenlager des Kriegs geworfen und hungern lassen nach Nahrung und Liebe.
Es war eine blumenbestickte Spitze gehäkelt mit schlafloser Nadel
eure Brandbomben haben das Haus vernichtet. Ihr habt sie getötet
getötet habt ihr sie!
Oh du Nacht die im Flüchtlingslager im Schlamm versinkt
und inmitten dieser Nacht weint ein Kind schluchzend
keinen Augenblick habt ihr seine Stimme gehört
aber niemand kann seiner Kindheit entfliehen auch ihr könnt nicht fliehen nirgendwohin.
Die Zeit ist reif. Mitten in eure Brust wird sich mein Gedicht-Dolch stoßen
er wird die Tage rächen die Tage meiner Kindheit
den Abend ohne Liebe den Morgen ohne Frieden wird er rächen
mein Gedicht wird euer Sterben. I h r K l e i n k r ä m e r g e h i r n e
i h r B a r r i k a d e n v o g e l s c h e u c h e n ! . . Während meine Gedichtvögel fliegen bleibt nur so weiter stehen seelenruhig seelenleer starrt durch Schießscharten in die Welt hinaus und versucht vergeblich den Horizont zu sehen eure Herzen
verkrustete Schusswunden
bewacht nur so weiter die Kaserne in die ihr eingesperrt mit euren Waffen.
Nur zu färbt ein mit dem Blut des Gedichts alle Mauern auf der green line wisst nur dass diese Worte auf einer Inschrift des Todes weiterleben werden
der Schrei der sich meiner Brust entreißt wird sich jeden Tag aufs Neue auf eine Mauer werfen und zurückschallen euch auf die Fersen
denn das Blut meiner Mutter klebt an euren Händen.




DER SCHMERZLICHE VERLUST

Ohne zu verlieren hätte ich nicht finden können
(olmeyen bir o)

Wäre meine Mutter nicht so früh gestorben, ich müsste sie nicht neu beleben
und meinen Vater hätte ich gar nicht bemerkt, wäre er nicht aus meinem Leben hinausgetreten ...
(Ich wurde in ein Haus hineingeboren, das nur existieren konnte, weil man es vernichten wollte,
so wurde dieser verdammte besetzte Ort zu unserem Gelobten Land.)
Wer nichts verloren hat, wird auch dies hier anders lesen
und zu verstehen glauben, als könnte man ein Gedicht verstehen das man nicht mit dem Herzen liest.
Solange die Vögel in euren Blicken weiter flattern
geht auch das Gedicht weiter, immer wenn ihr die verlassenen Äste anseht.
Aber meine eigenen Grenzen hätte ich vielleicht nie überwunden,
hätte man mich nicht ausgegrenzt aus meinem ersten Gedichteparadies.
Jetzt verstehe ich, dass das Böse den Dichtern so viel Gutes tut
und auch die Sprachlosigkeit und auch all das andere, was man ihnen weggenommen hat -
Verloren bis in alle Ewigkeit ... damit sie als Gedicht wiedergefunden werden.

(burada)

London, 2000


ABWESEND

Du siehst nicht was du anschaust, was du liest verstehst du nicht. Die Mandarinen fallen vom Baum, du siehst sie nur an und denkst nicht daran sie zu pflücken. Den Fisch der im Gasherd verkümmert isst du nicht noch gibst du ihn den Katzen. Du suchst deine Brille um einen Blick zu werfen in die Zeitung eines vergangenen Tages. Und du sitzt da dem Fernsehen gegenüber als sei das deine Aufgabe in dieser Welt. Filme verschwimmen ineinander, Träume, Erlebnisse... Das Telefon klingelt du rührst dich nicht. Du bist nicht da nicht da.

Nicosia, 2004




... Weil ich während des Überfalls die jüngste Frau und Mutter zu Hause war, räumte die Familie unserer Flucht Priorität ein. Leider wurden meine Mutter und meine ältere Schwester als Kriegsgefangene ins Cikko-Kloster gebracht. Der Sohn meiner Schwester und unser treue Nachbar, die uns eine Flucht in Sicherheit ermöglichten, wurden von den EOKA-Kämpfern verschleppt und es traf keine Nachricht mehr von ihnen ein. Obwohl sie die wertvollsten unter unseren Verlusten sind ... (Lefkosia, 23. Januar 1964, A.S.)*

DIE LISTE DER VERLUSTE

Die Verluste im Schlafzimmer:

Wenn wir einmal von den Pflanzen auf dem Fensterbrett, den Federspargeln, Veilchen, Liliengewächsen usw. absehen,
6 Paar Bettücher aus Rohseide
6 Paar Seidenbettücher
4 Stück bestickte Bettücher aus Leinen (zusammen mit 1 Paar bestickter Kissenbezüge mit Spitzenbesatz)
2 Ballen Leinenstoff nach Ellenmaß, auf Webstuhl gewebt
und 5-6 Ellen Leinen und Biber und Flanell nach Ellenmaß
3 handgefärbte Tücher als Andenken (Gebetsteppiche) und bestickte Einschlagtücher (ungebraucht)
2 Sets violette und weinrote Frottiertücher (wurden noch nicht gebraucht) und ein Bademantel
2 Sets Putztücher und 6 Paar Bursa-Tücher
und 1 rosa Tüllvorhang (bestickt)

Häkelspitzen von drei Generationen von Frauen der Familie (wenig gebraucht)
6 Stück alte Taschentücher mit Seidenspitzen verziert
2 Stück Nachthemden für mich, bestickt aber noch nicht genäht
und 1 Dutzend Seidenunterwäsche, 1 Morgenrock
1 Morgenmantel, mit Silberfäden bestickt (Wert unschätzbar)
und ein unvergleichliches Brautkleid (die 1850er) von der Oma (der Samt mit Goldstickereien verziert, der Unterrock mit Spitzenbesatz)
1 Wollkleid aus Astrachanwolle, 1 Bluse aus schottischer Wolle und der plissierte Rock zu der Bluse
2 Stück bestickte Georgette-Kopftücher (Beiruter Handarbeit).

&

Wenn wir einmal von den Singvögeln wie Spatz, Grasmücke usw., die sich auf dem Fenstersims niedersetzten, absehen,
1 Seidendecke, 3 Wolldecken, große und kleine
4 Stück Steppdecken (bezogen)
4 Stück rundliche minikleine Kissen (zusammen mit ihren Bezügen nach Spinnenmuster)
1 Paar elegante rote Schuhe mit hohen Absätzen (wenig gebraucht)
hinzu kommen meine Abendkleider, Parfums, Pond-Tagescreme, Schals,
verschiedene Damenaccessoires
1 Stück Handspiegel

Die Juwelen, die ich auf der nächtlichen Flucht im Nachttischen vergessen hatte, die sind alle weg:
1 Paar gezwirbelte Goldarmbänder
1 Stück silberbesticktes Armband und die passende Brosche (sehr besonderes Geschenk) und meine diversen Brustnadeln (Elfenbein, mit afrikanischem Magnetstein verziert, usw.)
1 Stück orangenfarbener Achatring, ein Andenken, 2 goldene Amuletten
1 Stück englische Halskette mit feinen Perlen.

&

Von unserem Kater, der durch das Schlafzimmerfenster ein und aus ging, kann man nicht absehen,
und 2 Stück mittelgroße Fahnen (die eine zyprisch, die andere türkisch)
14 Konfektionshemden (aus Baumwolle, Wolle, Satin, Seide, Leinen)
4 Ellen Kaschmir (für Hosen, beige, aufbewahrt für die Zeit, wenn das Kind älter geworden ist)
6-7 kleine Taschentücher mit Wappen, die dem Kind gehörten
und viele Spielzeuge (wenig benutzt)
ein Pandabärchen, das dem Kind gehörte (alt, aber es war das wertvollste)

Und handgeschriebene alte türkische Bücher, vom Großvater vererbt (wert unschätzbar)
1 Heiliges Testament und Weltatlas ( The Times)
verschiedene Bücher (türkisch, englisch) und Kindermärchen
1 Stapel Schreibpapier
„ „ Briefumschläge
1 Stück Füller (Erinnerung an die erste Lehrerzeit an der Shakespeare School)
usw. Stifte, meine kleinen Umschläge für Visitenkarten
1 Lampenschirm.

&

Wenn wir von der Frühlingslandschaft absehen, die ich während meiner Schulzeit auf dem College gemalt hatte und die an der Wand hing,
1 Wanduhr (aus früheren Zeiten)
3 Stück Tüllvorhänge mit Besatz, die ich mit farbiger Seide bestickte (meine erste Stickerei für die Mitgift)
und dazu, 5 Vorhänge im Riffelmuster
1 großer türkischer Kelim, 2 kleine Teppiche
1 ganzes Set Lefkara-Tücher
1 ganzes Set bestickter Tücher
1 Stück Apollon (Steinskulptur, aus Rhodos, 1954)
1 Stück Gasofen

1 Stück Kästchen mit Perlmutt eingelegt (mit Urkunden, Kontobuch,
Zertifikaten, meinen privaten Briefen, Fotografien u.ä. Unterlagen)
1 Set Mantelbürste mit Griff und ein Schuhlöffel
1 Fotoapparat (ungebraucht)
und andere Neujahrsgeschenke, die wir noch nicht ausgepackt hatten
und noch bevor wir die Ameisen, die Nachtschmetterlinge, unsere fliegenden Insekten aufzählen konnten ...

&

Sonstiger Schaden im Schlafzimmer:

(Erst wurde das Schlafzimmer in Brand gesetzt) von der Holzverkleidung auf
dem Fußboden bis hin zum Kristallleuchter an der Decke ist alles verbrannt,
die Beine des Liegestuhls sind abgebrochen, zum Teil verbrannt
Stoffe, Kleider usw. die nicht als Beute mitgenommen werden konnten, sind
verbrannt.
Mein Bett aus Nußbaumholz und der Kleiderschrank sind zum größten Teil
verbrannt
und die Spiegel im Schrank die sind alle zersprungen, die Scheiben und Rahmen der Fotografien an der Wand sind zerbrochen,
weil die Fotografie des Kindes nicht abbrannte, wurde es in Stücke gerissen.

Dieses Kind, in Stücke gerissen, bin ich. Das auf der Liste der Verluste noch immer
nach seinem Namen sucht, um zu sich selbst zu finden.
Und dir im Stillen 1000 Mal dankend mein guter Gott:
Wie gut, das ich verloren ging, nicht eine einzige Person bin und in einem kleinen Haus ...


*Entnommen und bearbeitet aus dem „Heft für verlorene Gegenstände und für Schäden“, datiert mit 10-20 Januar 1964, das meine Mutter Ayse Süleyman (Ipçizâde) führte, nachdem ihr Haus 1963 am Blutigen Weihnachten geplündert und verbrannt wurde. London, 1998-2000.



DER KOFFER

Eingebrochen sind sie ins Haus, die Diebe

haben den genieteten Lederkoffer geöffnet ...
Dort bewahrten wir Mutterduft auf
hoben nur sachte den Deckel um ihn einzuatmen.
Sie haben ihn geöffnet.
Ihr Faltenrock, ihr Halsband mit Lilatupfern, ihr Twinset,
ihre Handschuhe, ihr Handspiegel,
ihre Schmetterslingsbrille, ihre Rüschenschürze von der Volksküche,
ihr Kleid mit Veilchen mit eigenen Händen genäht,
ihre karierte Deux-pièces, ihre Filzpantoffeln, ihr seidenes Taschentüchlein,
ihre eingerollte Libanonkarte von einer Rundreise,
ihre exercise books, ihr Füller,
ihr Briefwechsel ... Alles in Staub und E r de i n S t a u b u n d E r d e . . .
Ob es die Kaserne war von diesen oder jenen Soldaten
für das Haus gesellt sich wieder ein Kriegstrauma den anderen
wieder ein Überfall, wieder werden verschlossene Türen aufgebrochen
und ein Leben wird zur Beute bevor sie gelebt werden konnte.

Und zur Beute auch ein Leben, das gestorben wurde.

Die Liste der Verluste wird aufgestellt
ein ums andere Mal in dem nutzlos versicherten Haus ...
Das zerfallene Fotoalbum aus Hirschleder kann einem
doch keine Versicherungsfirma ersetzen.

Und nicht einmal setzt sie es auf die Liste als „Wertsache“.

Nicosia-London 1997-1998


© Mehmet Yashin. Übersetzer: Recai Hallac